Übersetzung im Urwald –
interkulturelle Kommunikation ganz am Anfang
Unser Gastautor befasst sich mit dem ganz generellen Thema Übersetzung. Wie viel Vergleich zwischen den Ländern und Brauchtum ist geeignet für eine gute Übersetzung? Ein Artikel über interkulturelle Kommunikation, Sinnfindung von Worten und generellem Übersetzen zwischen Sprachen und Kulturen.
„Primitive“ Gesellschaften und interkulturelle Kommunikation
Ich lese momentan einen relativ alten Schinken zu den Religionen „primitiver Gesellschaften“ (die Bezeichnung „primitiv“ ist mit Vorsicht zu genießen) und es geht im Kern darum, welche psychologischen und soziologischen Erklärungsmodelle es gab, für religiöses Verhalten. Sie denken, das hat nichts mit Übersetzung zu tun? Ganz so ist das nicht…
Als man nämlich angefangen hatte, sich mit den Religionen solcher Völker zu beschäftigen lief die ganze Sache letztlich so ab, dass ein Forscher in den Urwald ging um sich zum Beispiel ein fremdes Ritual, anzuschauen: Gruppen von bemalten Menschen tanzen herum, stimmen unverständliche Gesänge an und irgendwie ist das für ihn doch alles ziemlich befremdlich. Natürlich stellt er sich die Frage, was passiert da und warum passiert das eigentlich? Und die erste Frage, lässt sich noch relativ gut beantworten. Er gibt wieder, was er wahrnimmt und seine Sinne erweisen ihm hier einen recht guten Dienst. Trügerisch wird die Sache allerdings, wenn er anfängt, nach dem Warum zu suchen…
Das Warum ist nichts, was sich ihm als klare Antwort offenbart und Edward T. Hall hat es mit seinem Eisbergmodell der Kultur ganz gut getroffen: Oberhalb – also dort wo der Eisberg aus dem Wasser ragt – hat man das sinnlich wahrnehmbare. Das können Kleidung, Bewegungen, Farben, aber auch Geräusche und Gerüche sein. Unterhalb des Wassers, also im nicht wahrnehmbaren Bereich, finden wir dann die Bedeutungen und Wertesysteme, welche diesen Ausdrucksformen zugrunde liegen. Und wer den Film Titanic gesehen hat weiß, dass einem der untere Teil des Eisbergs schnell einen Strich durch die Rechnung machen kann. Insbesondere wenn man ihn nicht mit einbezieht.
Wörter und deren Bedeutung
Mit Wörtern verhält es sich prinzipiell genauso. Natürlich kann ich ein Wort sehen, aber welche Bedeutung verbirgt sich eigentlich dahinter? Und wer schafft diese Bedeutung? Die Zuordnung von dem Gedankenbild eines Baumes – also das „Ding“, das da im Wald steht – und dem Lautbild ‚Baum‘ ist arbiträr, also willkürlich getroffen. Was ich sagen möchte: Es gibt kein Naturgesetz, das beide aneinander kettet. Die Konsequenz die sich aus diesem Gedankengang heraus ergibt, ist ganz interessant: Sprache ist kein, in einem festen Punkt, verankertes System, Sprache schwebt viel mehr im Raum, beeinflusst und geschaffen, durch die Menschen, die Sie sprechen. Wie übersetzt man so etwas?
Ursprache übersetzen – wie geht das?
Dafür zurück zu unserem Forscher im Urwald: Er sucht nun nach dem Warum des Rituals. Dann fängt er an die Geschehnisse zu interpretieren. Schnell sind parallelen zu Festen der eigenen Kultur hergestellt und… Nein, so funktioniert das natürlich nicht. Der Forscher, der fremde Aspekte beschreiben möchte, ist gut beraten, wenn er darauf achtet, in welchen Gesamtkontext dieses Ritual eingebunden ist und nicht nur versucht, es isoliert zu betrachten und blind nach Äquivalenten in der eigenen Kultur zu suchen. Und genauso verhält es sich mit der Übersetzung von Wörtern. Das Konzept, das einem Wort anheftet ist kein Aufkleber, den ich lesen kann. Das Verständnis ergibt sich aus der Beziehung zu anderen Wörtern und in welchem Kontext sie genutzt werden und dann letztlich an Bedeutung gewinnen.
Warum braucht es Literaturwissenschaft für die interkulturelle Kommunikation?
Ich hatte am Anfang meines Studiums der Interkulturelle Kommunikation einige Probleme, zu erkennen, warum wir uns auch mit Literaturwissenschaft beschäftigen. Aber ich glaube der Aspekt der Übersetzung passt hier ganz gut. Der Forscher, der fremde Bräuche beschreiben möchte versucht am Ende auch nichts anderes, als sie in seine Kultur zu übersetzen… Denn letztlich geht es doch um das gegenseitige Verstehen, dass eine erfolgreiche Kommunikation und auch Zusammenarbeit möglich macht.
Unser Gastautor:
Stefan Günther studiert Interkulturelle Kommunikation an der Technischen Universität Chemnitz und arbeitet nebenbei in der Universität als Tutor. Hin und wieder gibt er auch Seminare abseits der Hochschule. In Folge seiner Tätigkeiten als Studentische Hilfskraft beim Gründernetzwerk SAXEED und an der Professur Arbeitswissenschaften und Innovationsmanagement interessiert er sich mittlerweile vor allem für für die praktische Anwendung von kultur- und sozialanthropologischen Konzepten für Innovationsprozesse und Networking.
In seiner Freizeit trainiert er Kinder und Erwachsene im Jiu-Jitsu.